Anrechnung der Überbrückungshilfen auf den Unterhalt
Beschluss des Oberlandesgerichts (OLG) Bamberg, Az.: 2 UF 23/22 in retrospektiver Betrachtung
Grundsatz
Der Beschluss des Oberlandesgerichts (OLG) Bamberg, Aktenzeichen 2 UF 23/22, wird im Lichte der bevorstehenden Corona-Schlussabrechnungen und der mittlerweile durch Gerichtsurteile offengelegten Verwaltungspraxis betrachtet. Das OLG Bamberg legte in seinem Beschluss folgende Grundsätze fest, die sich auf die Auswirkungen der Corona-Überbrückungshilfen auf den Ehegattenunterhalt beziehen:
Berücksichtigung der Überbrückungshilfe III
Einnahmen aus der Überbrückungshilfe III erhöhen das Einkommen, das für die Berechnung des unterhaltsrechtlich relevanten Einkommens des Unterhaltspflichtigen zugrunde gelegt wird.
Unterschied zu Coronasoforthilfen
Im Gegensatz zu den Coronasoforthilfen, die in den ersten Monaten der Pandemie als reine Hilfeleistung in existenziellen Notlagen dienten, hängt die Höhe der Überbrückungshilfe III von betrieblichen Kennzahlen ab, die erhebliche Umsatzeinbußen ausgleichen sollen.
Zweck der Überbrückungshilfe III
Der gesetzgeberische Zweck der Überbrückungshilfe III ist die Sicherung der wirtschaftlichen Existenz des Empfängers. Dieser Zweck umfasst auch die gesamte wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des Unterhaltspflichtigen und damit indirekt auch die finanziellen Bedürfnisse des Unterhaltsberechtigten.
Schätzung der Einkünfte für 2022
Angesichts der erwarteten schrittweisen Aufhebung pandemiebedingter Einschränkungen im Jahr 2022 wird bei der Schätzung der Einkünfte des Unterhaltspflichtigen auf die Einkommensverhältnisse der Jahre 2018 und 2019 zurückgegriffen werden.
Ermittlung des Einkommens für die Vergangenheit
Zur Bestimmung des Einkommens des Unterhaltspflichtigen in der Vergangenheit ist nicht ein Mehrjahresdurchschnitt zu verwenden. Stattdessen ist das tatsächlich erzielte Einkommen für jeden Jahreszeitraum einzeln zu betrachten.
Sachverhalt
Im zugrunde liegenden Verfahren wehrte sich der Antragsgegner (der unterhaltspflichtige Ehepartner) gegen die Verpflichtung, während des gesamten relevanten Zeitraums bis zur endgültigen Scheidung Unterhalt zu zahlen. Er argumentierte, dass das Amtsgericht bei der Berechnung seines Einkommens seine nachgewiesenen Ausgaben für Krankenversicherung, Lebensversicherung und Einkommensteuer nicht mindernd berücksichtigt habe. Außerdem betonte er, dass sein Gewinn im Jahr 2021 nur dank einer Corona-Hilfe erzielt worden sei, und es noch nicht endgültig feststehe, ob er diese Hilfe behalten dürfe.
Das Gericht entschied, dass der Antragsgegner im Jahr 2021 einen betrieblichen Gewinn erzielt hat, in dem eine Corona-Überbrückungshilfe (eine staatliche Unterstützung für kleine und mittelständische Unternehmen) enthalten ist. Diese Unterstützung muss bei der Berechnung des für den Unterhalt maßgeblichen Einkommens des Antragsgegners berücksichtigt werden.
Die Überbrückungshilfe III wird als eine freiwillige Leistung betrachtet, die dazu dient, die wirtschaftliche Existenz bei erheblichen Corona-bedingten Umsatzausfällen zu sichern. Hierbei werden bestimmte betriebliche Fixkosten berücksichtigt. Das Gericht sah keinen Grund, warum diese Überbrückungshilfe nicht in die Gewinnermittlung und damit in das unterhaltsrechtliche Einkommen einfließen sollte.
Der gesetzgeberische Zweck der Überbrückungshilfe umfasst die gesamte wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des Empfängers und damit indirekt auch die finanzielle Absicherung des unterhaltsberechtigten Ehepartners.
Das Gericht entschied, dass die Tatsache, dass der Antragsgegner eine Schlussabrechnung für die erhaltene Hilfe einreichen muss, der Berücksichtigung dieser Hilfe beim unterhaltsrechtlichen Einkommen nicht im Wege steht. Da der Antragsgegner einen Steuerberater für die Einreichung der Unterlagen beauftragen musste, ging das Gericht davon aus, dass die Höhe der erhaltenen Vorauszahlungen auf realen betrieblichen Kennzahlen basiert und somit dem tatsächlichen Anspruch nahekommt.
Rechtliche Einschätzung
Das Gericht hat in dieser Angelegenheit eine Auffassung vertreten, die in mehreren Punkten fragwürdig ist. Diese Entscheidung könnte insbesondere im Hinblick auf die bald zu erwartenden Schlussbescheide zu neuen Klagen führen.
Die Überbrückungshilfen wurden immer in einem zweistufigen Verfahren bearbeitet: zunächst durch einen vorläufigen Bescheid und später durch eine Schlussabrechnung. Das vorläufige Bewilligungsverfahren diente der schnellen Unterstützung von Unternehmen, die durch die Corona-Pandemie in Schwierigkeiten geraten waren. Dabei wurden oft Abschlagszahlungen gewährt und die Prüfung der Anträge erfolgte unter einem vereinfachten Maßstab. Die endgültige und detaillierte Prüfung sollte jedoch erst mit der Schlussabrechnung erfolgen, um den tatsächlichen Hilfebedarf zu ermitteln.
Das Gericht hat zwar korrekt festgestellt, dass bestimmte coronabedingte Fixkosten förderfähig sind, jedoch ist das Verfahren zur Festlegung dieser Kosten und der Coronabedingtheit in der Praxis nicht öffentlich dargelegt worden. Die genauen Kriterien wurden erst im Laufe der Zeit, oft durch Gerichtsverfahren, konkretisiert. Dies bedeutet, dass es bei den ursprünglichen Anträgen zu Fehlern kommen konnte, die erst bei der Schlussabrechnung auffallen könnten. Diese könnten dann zu Rückzahlungsverpflichtungen oder sogar zu strafrechtlichen Konsequenzen führen, falls eine falsche Angabe als Subventionsbetrug gewertet wird.
Es ist daher problematisch, wenn das Gericht die vorläufigen Bescheide als Grundlage für die Berechnung des unterhaltsrechtlichen Einkommens heranzieht. Sollte der endgültige Schlussbescheid abweichen, könnten Unterhaltsverpflichtungen auf Basis eines falschen Einkommensniveaus berechnet worden sein, was den Unterhaltspflichtigen erheblich benachteiligen könnte, besonders wenn später Zinsen und Rückzahlungen gefordert werden.
Ein weiterer kritischer Punkt ist die Rolle der Steuerberater. Das Gericht scheint davon auszugehen, dass Steuerberater bereits im vorläufigen Verfahren eine umfassende Prüfung vorgenommen haben. Tatsächlich waren die Steuerberater jedoch aufgrund des hohen Arbeitsaufkommens und der komplexen, juristischen Anforderungen oft überfordert. Zudem wurde der juristische Begriff der "Coronabedingtheit" nicht immer korrekt verstanden und umgesetzt, was zu weiteren Fehlern führen konnte. Die Bewilligungsstellen hätten hier klarere Anweisungen und eine bessere Kommunikation sicherstellen müssen. Der Presse kann bereits jetzt entnommen werden, dass einige Unternehmen Billigungsleistungen bekommen haben, denen keine Billigungsleistung nach der Verwaltungspraxis zugestanden haben.
Da diese unberechtigten Billigungsleistungen auch den Verwaltungsgerichten aufgefallen sind, wurde bereits vor den Verwaltungsgerichten eingeräumt, dass in vielen Fällen eine für masseverfahren übliche, teilweise automatisierte Prüfung der Anträge erfolgte. Dies erhöht die Wahrscheinlichkeit von Fehlern in den vorläufigen Bescheiden, da die für die Bewilligung relevanten Fixkosten im Ermessen der Behörde unter Vorbehalt einer einheitlichen Verwaltungspraxis stehen und bislang noch keine Tabelle öffentlich bekannt ist, sodass davon auszugehen ist, dass stets im Einzelfall entschieden worden ist. Daher ist die Annahme des Gerichts, dass der vorläufige Bescheid dem endgültigen Schlussbescheid entspricht, nicht in allen Fällen zutreffend.
Wenn aufgrund dieser fehlerhaften Annahmen falsche Unterhaltszahlungen festgelegt wurden, könnte dies später zu erheblichen finanziellen Belastungen für den Unterhaltspflichtigen führen. Da zu viel gezahlter Unterhalt nur unter bestimmten Bedingungen zurückgefordert werden kann, stellt sich die Frage nach möglichen Schadensersatzansprüchen. Hier ist zu klären, ob diese Ansprüche sich gegen den Steuerberater oder möglicherweise gegen den Staat richten, da die Steuerberater im Rahmen eines hoheitlichen Auftrags gehandelt haben.
Für detaillierte Beratungen zu möglichen Ansprüchen oder weiteren Fragen stehe ich Ihnen gerne in meiner Kanzlei in Wiesbaden zur Verfügung.